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  • AutorenbildJanina Bajramovic

Spoon-Theory

Ich habe mich einmal darüber beschwert, warum andere so viel mehr leisten können als ich selbst. Ich war es satt, das Gefühl zu haben, viel weniger Energie aufbringen zu können als andere Menschen. Dabei habe ich zwei Fehler gemacht:

  1. Ich habe nicht auf meine persönlichen Bedürfnisse geachtet.

  2. Ich habe mich mit anderen verglichen.

Solche Gedankenfehler zu machen, ist nicht verwerflich. Es ist sehr menschlich sogar. Aber daraus nicht zu lernen und zu erwachsen, das wäre mindestens äußerst schade.

Eine sehr liebenswerte Person schickte mir einen Link zu einem Artikel, der etwas zur „Spoon-Theory“ nach Christine Miserandino erklärte[1]. Die auf Deutsch „Löffel-Theorie“ besagt auf metaphorische Weise, grob zusammengefasst, dass alle Menschen eine individuelle Menge an Löffeln mitbringen und diese an einem Tag entweder vollständig aufbrauchen oder eben nicht. Miserandino war es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, weil oft Menschen mit Einschränkungen, die nicht deutlich sichtbar sind, von ihren Mitmenschen nicht ernstgenommen werden, da ihre Leiden nicht (sofort) sichtbar sind und man ihnen deshalb mehr zumutet, als sie wirklich bewältigen können.

Erweiternd und in Bezug auf Burnout-Prävention möchte ich diese Theorie aber auf alle Menschen anwenden, damit auch die Leute sich darauf beziehen können, die die Frühzeichen von Burnout bei sich erkennen.

Diese unterschiedliche Anzahl an aufzubrauchenden Löffeln zeigt, dass Menschen unterschiedlich viel Energie für den Alltag haben. Diese Löffel stehen nicht nur für lästige Arbeit, sie stehen auch für erfreuliche Arbeit, Freizeitaktivitäten, kleine und große Aktivitäten, selbst für die eigene Körperpflege verbrauchen wir eben eine gewisse Anzahl an Löffeln. So kommt es, dass sich die eine Person nach einem Tag voller Selbstpflege eben gerade noch genug Energie für den Müll und für einen Pflichtanruf bei den Eltern (weitere zwei Löffel!) vollkommen leer und kraftlos fühlt, während die andere Person mit Arbeit, zügiger Körperpflege, Haushalt und sozialem Leben vielleicht noch einen Löffel für eine letzte späte E-Mail freihat. Oder vielleicht auch nicht, weil dieser Löffel für einen spontanen Kundschaftanruf am Mittag bereits aufgebraucht wurde.

Aufgrund unserer höchstpersönlichen Lebensgeschichte bringen wir verschieden viele Löffel mit. Ich würde die These noch erweitern und sagen, dass wir teilweise gar nicht exakt sagen können, wie viele Löffel wir an welchem Tag zur Verfügung haben. Das kann stark variieren.

Was bringt uns diese Metapher? Sie veranschaulicht uns, dass wir…

  1. … uns jeden Tag aufs Neue um unsere Bedürfnisse kümmern müssen; dazu gehört auch, zu hinterfragen, wie viel Energie (oder: Löffel) wir an einem Tag zur Verfügung haben. Das muss nicht dogmatisch sein und kann sich vielleicht noch im Laufe des Tages verändern.

  2. … uns nicht mit anderen Menschen vergleichen. Wir wissen nicht, wie glücklich oder unglücklich sie sind und welche Vorgeschichte sie mitbringen. Wir wissen nicht, wo diese Menschen in den nächsten Tagen oder Jahren sein werden.

Noch eine kleine Erweiterung meinerseits: Möglicherweise haben manche Menschen so einen schwachen Draht zu sich selbst, dass sie praktisch Tag um Tag „Löffelkredite“ aufnehmen, also mehr Löffel benutzen als sie in Wirklichkeit haben. Das heißt auf langer Sicht, dass sie irgendwann die Löffel und ihre Zinsen zurückzahlen müssen. Extrem lange Schlafzeiten, wenig Freude an Urlaub und sonstigen freien Tagen, das ausbleibende Gefühl von Erholung sind möglicherweise die Folgen. Deshalb sehe ich diese Löffel-Theorie als nützliche Veranschaulichung der Burnout-Prävention und auch als langfristige Lebensstrategie. Natürlich kann man eine Weile sehr effektiv und effizient leben, auch über das eigene Maß hinaus, aber ohne ausreichende Selbstachtung und Reflexion bricht das System irgendwann zusammen. Die Löffel-Theorie ist eine mögliche Strategie, sich selbst besser zu reflektieren und das Leben nach der eigenen Effektivität und Effizienz zu gestalten.





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